Jussi Tapola steht vor der maximalen Herausforderung: Einerseits sollte er so viele Siege wie möglich einfahren und andererseits den Erneuerungsprozess des Teams weiter vorantreiben: Die helvetischen Leitwölfe werden immer mehr zu Graubärten: Ramon Untersander und Romain Loeffel sind 34, Tristan Scherwey ist 34 und Simon Moser 36. Dem finnischen Trainer ist es letzte Saison gelungen, das Spiel zu ordnen und während der Qualifikation eine Entwicklung voranzutreiben, die eigentlich zum nächsten Titel führen könnte.
Die Berner waren in der Qualifikation so gut wie seit der letzten Meistersaison 2018/19 nie mehr. Sie haben vom Taumeln der vermeintlichen Titanen (Zug, Servette, Gottéron, Lugano) profitiert, und die bange Frage ist berechtigt: Der SCB hat zwar die Substanz und das taktische Konzept, um mit dem Beistand der Hockey-Götter bis in den Final zu kommen. Aber was, wenn Zug, Servette, Gottéron oder auf einmal gar Lugano die Liga wieder rocken werden? Im Selbstverständnis ist der SCB das Bayern München unseres Hockeys. Und deshalb ist jahrelanges Scheitern – seit dem letzten Titel hat der SCB nie mehr eine Playoff-Serie gewonnen – doppelt gefährlich: Ungenügende Leistungen haben in der Vergangenheit stets zu Unruhe im Klub, zu trotzigem «so, aber jetzt erst recht», personellen Konsequenzen und zügiger Rückkehr in die Spitzengruppe geführt.
Als Marc Lüthi noch der echte Marc Lüthi war, hätte er nach dem kläglichen Scheitern im Viertelfinal Jussi Tapola noch am gleichen Abend entlassen. Aber inzwischen haben sich zu viele zu lange im Mittelmass bequem eingerichtet und erfreut festgestellt: Es lässt sich ja auch ohne Titel ganz gut leben und das Geschäft brummt – wozu die Aufregung? Gute Ausreden genügen, das ständige Streben nach Ruhm und Titeln stresst doch nur. Der SCB kämpft diese Saison um mehr als bloss einen Platz in der Spitzengruppe. Der SCB kämpft um seine DNA als erste sportliche Adresse in unserem Hockey und gegen die Bequemlichkeit eines Lebens im Mittelmass. Der SCB ist nach wie vor Titan. Aber auf dünnem Eis. Nach unten wie nach oben ist vieles möglich. Ein erneutes Scheitern im Viertelfinal kann ein reinigendes Gewitter auslösen und muss deshalb kein Unglück sein.
Auf einer Skala von 1 bis 10 Pucks.
Jussi Tapola steht in seinem dritten Amtsjahr mit Vertrag bis Ende Saison. Kein anderer Trainer hat es seit dem letzten Titel von 2019 an der SCB-Bande so lange ausgehalten. Und für die spielerische und taktische Weiterbildung des Teams verdient er eigentlich die Maximalnote. Aber zweimal hintereinander ist er im Viertelfinal gescheitert. Erst gegen Zug unglücklich und im letzten Frühjahr im 7. Spiel gegen Gottéron vor eigenem Publikum schmählich. Dafür gibt es für einen Bandengeneral mit seinem Ruf und Ruhm eigentlich nur die Minimalnote. Also einerseits die Maximalnote 10 und andererseits 0,00 ergibt exakt die Note 5,0. Obersportchef Martin Plüss ist zwar ein Mann des Verstandes, der Vernunft und der Geduld und im Grundsatz gegen eine Amtsenthebung eines Trainers. Aber das ändert nichts daran, dass ein Trainer beim SCB immer entlassungsgefährdet ist. Auch Jussi Tapola.
Wer will, kann polemisch sagen: Der SCB hat alles für den Final ausser die Goalies. Adam Reideborns Vertrag läuft aus und das könnte sich positiv auf seine Leistung auswirken. Aber zweimal hintereinander hat er in den Playoffs versagt. Der SCB löhnt vier Torhüter (Adam Reideborn, Sandro Zurkirchen, Andri Henauer, Christof von Burg), aber keine charismatische sportliche Nummer 1. Die Chancen, dass Andri Henauer und Christof von Burg die zur Weiterentwicklung erforderlichen Einsätze in der höchsten Liga bekommen werden, tendieren gegen null. Der SCB hat ein Torhüterproblem.
Die Anzahl Gegentreffer ist auch dank der taktischen Fortschritte unter Jussi Tapola letzte Saison auf 139 reduziert worden. Den tiefsten Stand seit der letzten Meistersaison 2018/19. Die Veränderungen beim Defensiv-Personal gegenüber der letzten Saison sind vor allem bei den Schweizern so gering, dass wenig Hoffnung zu einer signifikanten Verbesserung, aber auch kein Anlass zur Sorge besteht.
Liga-Topskorer Auston Czarnik hat Bern zusammen mit Schillerfalter Dominik Kahun Richtung Lausanne verlassen. Grund zur Polemik, aber eigentlich kein Grund zur Panik. Marco Müller kommt aus Lugano und verstärkt die Mittelachse. Mit der Gunst der Hockeygötter können Miro Aaltonen und Emil Bemström die Abgänge von Czarnik und Kahun einigermassen kompensieren und die aufsteigende Tendenz von Marco Lehmann, Fabian Ritzmann, Thierry Schild und Benjamin Baumgartner müsste eigentlich die Offensive befeuern. Die heikelste Aufgabe von Jussi Tapola: vier ausländische Stürmer bei Laune halten. In der Regel wird mindestens einer auf der Tribüne sitzen.
Der SCB rockt zwar finanziell wieder. Aber die Folgen der sportlichen Misswirtschaft seit dem Wechsel von Sportchef Sven Leuenberger im Sommer 2017 zu den ZSC Lions durch personelle Fehlbesetzungen sind nach wie vor nicht aufgearbeitet. Mit Obersportchef Martin Plüss sind Kompetenz und Verstand in die Sportabteilung zurückgekehrt, aber mit Diego Piceci hat der SCB auf der Position des Untersportchefs einen hoffnungsvollen Zauberlehrling als Nachfolger von Patrik Bärtschi verpflichtet.
Eigentlich müsste der SCB nicht einen Zauberlehrling löhnen. Sondern einen Hexenmeister. Nach wie vor stehen die Berner sportlich nicht dort, wo sie stehen sollten, und leiden darunter, für grosse Schweizer Spieler nicht mehr die erste Adresse zu sein. Dem SCB ist erneut kein „Kaisertransfer“ gelungen. Auch Dario Rohrbach – er kommt 2026 für vier Jahre – ist kein „Kaisertransfer“: Nur der SCB war bereit, das Risiko einzugehen, einen Spieler nach der einzigen guten Saison in seiner Karriere mit einem „Rentenvertrag“ zu vergolden. Immerhin stehen die Aussichten für Polemik recht gut. Polemik ist gut für die Unterhaltung, und Marc Lüthi pflegt zu sagen, die National League sei auch eine sehr erfolgreiche Unterhaltungs-Liga. Noch Fragen?
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
War es je so schwierig, Mannschaften einzuschätzen wie vor der Saison 2025/26? Nein, wahrscheinlich nicht. Wir wissen zwar aus Erfahrung, dass es mindestens eine Überraschungs-Mannschaft und einen strauchelnden Titanen geben wird. Aber wer wird positiv überraschen? Langnau? Ambri? Ajoie? Und wer gerät in den Strudel einer Krise? Erneut der Servette? Aber vielleicht helfen ja unsere Noten bei der Einschätzung.
Statistiken sagen viel. Aber alle haben sie. Gibt es mehr als nur diese allgemein zugänglichen Zahlen? Ja. Eine Bewertung jedes einzelnen Spielers. Deshalb benoten wir jeden unserer Helden des rutschigen, eisigen Spielfeldes. Wir polemisieren damit sozusagen nach Noten. Aber leicht machen wir uns die Sache nicht. Unsere Noten basieren bei Weitem nicht nur auf unserem unzulänglichen Urteilsvermögen. Wir folgen auch den Einschätzungen der wahren Kenner, der Trainer, Sportchefs, NHL-Scouts. Und ein Problem können wir nicht lösen: Alle Beurteilungen basieren auf den Leistungen in der Vergangenheit. Was einer in Zukunft leisten wird, bleibt reine Spekulation.
Wenn wir wissen wollen, wie gut eine Mannschaft ist bzw. sein wird, können wir einfach den Noten-Durchschnitt ausrechnen. Oder? Aber so einfach ist es leider nicht. Ob aus hochkarätigen Spielern mit hohen Noten tatsächlich eine starke Mannschaft wird, ist nämlich höchst ungewiss. Es ist keineswegs sicher, dass eine Mannschaft tatsächlich so gut spielt, wie sie es aufgrund der Bewertung der einzelnen Spieler eigentlich müsste. Das zeigt auch, welche Gestaltungskraft gute Trainer haben. Sie können mehr aus einem Team herausholen, als unsere Noten vermuten lassen. Unsere Noten sagen letztlich noch nichts über die Mannschaft. Wer sich bei den Prognosen trotzdem auf diese Noten verlässt, ist selbst schuld.
Eine erneute direkte Playoff-Qualifikation ist möglich, ja eigentlich Pflicht und Minimalziel: Der Rückstand auf Qualifikationssieger Lausanne betrug nur 6 Punkte. Bei 52 Partien eigentlich eine Zufallsdifferenz. Aber der Vorsprung auf Rang 7 war mit 12 Punkte nicht gross genug, um nun sorglos in die neue Saison zu steigen.